Geburt und Sterben
Alles Erschaffene besteht nur um der Seele willen, und alle Gestalten dienen allein dem Zweck, um darüber die göttliche Wahrheit und Liebe zum Ausdruck zu bringen. Denn dadurch, dass der göttliche Wille unaufhörlich in Allem wirksam ist, offenbart sich die Wahrheit über alle Manifestationen in der gesamten Schöpfung. Denn Alle Materie ist Seelensubstanz, aber in einem gerichteten und gefestigten Zustand, deren Bestimmung es ist, wieder ins ungebundene, rein geistige Sein zurückzukehren. Um das zu erlangen, muss sich die Seele in unendlich vielen Lebensstufen wieder aus ihren Manifestationen freimachen, um in der letztendlichen Inkarnation im Menschen zum vollen Selbstbewusstsein, zur Erkenntnis Gottes, zur Liebe und zur vollen Vereinigung mit ihrem jenseitigen Geiste zu gelangen, was man „Wiedergeburt im Geiste“ nennen könnte. (Jakob Lorber)
Materie und Geist sind nicht Gegensätze, sondern lediglich zwei Zustände desselben universalen Stoffes. Materie ist die Erscheinungsform des Geistes, die im göttlichen Kreislauf ihre stärkste Verdichtung im Kosmos erfährt, um im Rücklauf der Bewegung zum Zentrum wieder vergeistigt zu werden. Denn die Vielheit alles Geschaffenen löst sich in der Einheit der Vergeistigung aller Geschöpfe wieder auf, und es gibt keine Trennung mehr zwischen Geist und Materie, weil die Schöpfung eine Einheit ist, wobei die im Schöpfungsprozess scheinbare Getrenntheit nur durch den jeweiligen Bewusstseinslevel in einer Dimension bedingt ist. Es handelt sich dabei lediglich um unterschiedlich wahrgenommenen Wirklichkeiten, so wie zwischen „Jenseits und Diesseits“. „Jenseits“ ist bekanntlich alles das, was jenseits der menschlichen Wahrnehmung unserer äußeren Sinne liegt. Darum sollte man sich abgewöhnen, die äußeren Wahrnehmungen zu verabsolutieren und alles nicht sinnenhaft Wahrnehmbare als unnatürlich anzusehen. Denn über unsere Geistseele haben wir durchaus auch Anteil an anderen „Wirklichkeiten“. Allerdings kann der Mensch während seines Erdenlebens noch nicht wirklich hinter die allein sinnlich wahrnehmbaren Dinge blicken, und Sterben und Tod haben darum für ihn den Anschein eines Verhängnisses, es sei denn, der religiös bestimmte Mensch hat den Glauben an ein ewiges Leben im Jenseits und besitzt die Erkenntnis, dass es sich beim Sterben lediglich um einen einfachen Wechsel der Lebensbedingungen handelt. Der hl. Paulus sagt über die „beiden Wirklichkeiten“: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch selbst durch und durch erkannt worden bin“. 1 Kor 13,12
Die mit diesem „Wechsel“ verbundene Vorstellung von „Sterben und Wiedergeburt“, jene permanenten Involutionen von seelischer Substanz in den unterschiedlichen Bewusstseinsdimensionen des Universums, findet allmählich auch im westlichen Gedankengut Eingang. An dieser Stelle erscheint es daher angebracht, zum Thema „Wiedergeburt“ einige klärende Hinweise zu geben, weil unter diesem Begriff sehr viel Unterschiedliches verstanden wird. Es herrscht leider immer noch die Vorstellung, dass eine Seele mehrere „Re-Inkarnationen“ auf Erden durchlebe, um das, was sie an notwendiger spiritueller Entfaltung in einer Inkarnation nicht erreicht habe, in einer folgenden erbringen zu können. Das ist aber nie der Fall. Es wäre auch ganz unsinnig, eine bereits erfolgte Inkarnation zu wiederholen, weil es nur eine permanente Weiterentwicklung gibt. Genauso unsinnig ist es, durch Hypnose sich in eine scheinbar vergangene Inkarnation zurückversetzen zu lassen, um auf diese Weise vergangene Verfehlungen lösen zu können. Vergangene Manifestationen bis zur Inkarnation sind nicht mehr relevant für die jeweils gegenwärtigen Aufgaben, denn alle inkarnierten Seelen stehen unter dem absoluten „Gesetz der Gegenwart“. Jede Seele hat beim Abstieg in einer menschlichen Inkarnation bereits den größt möglichen Grad einer Trennung von Gott, dem Zentrum, erreicht. Im Menschen kann darum eine weitere Trennung nicht mehr erfolgen und darum eine Re-Inkarnation als unsinnig erscheinen lässt. Denn Menschsein bedeutet freie Willensentscheidung, welche die absolute Voraussetzung für die Liebe ist, um den Wiederaufstieg der Seele zurück ins göttliche Zentrum zu ermöglichen.
Diese Lehre von der „Wiederverkörperung“ erfüllt oft den orthodoxen Christen mit einem gewissen Schauder. Wie brisant dieses Thema jedoch immer war, wird bereits im Evangelium in der Frage der Jünger an Jesus nach dem Schicksal des Blinden deutlich: «Meister, wer hat gesündigt, dieser Mann oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?» (Joh. 9, 2). Jesus lehnt es ab, daraus Folgerungen zu ziehen und sagt vielmehr: „Es hat weder dieser noch seine Eltern gesündigt, sondern es sollen an ihm die Werke Gottes offenbar werden.“ Jesus selbst betont vielmehr die Tatsache, dass der Mensch immer nur im gegenwärtigen Leben durch «Christus im Menschenherzen» befreit werden könne. «Wenn der Mensch nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen» (Joh. 3, 3); denn nur Seelen können „Bürger“ dieses Reiches sein. Damit zeigt Jesus das Vorrecht, als Seele zu wirken, der Menschheit zum ersten Mal als Ziel auf und übermittelte den Menschen die Vision einer gottgegebenen Möglichkeit, die sie unzweifelhaft erleben würden. Er sagte ihnen: «Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist» (Math. 5, 48).
„Wiedergeburt“ betrifft also die Seele[1] im irdischen Leben, wo der Mensch einem Prozess der Vervollkommnung unterworfen ist, für welchen Jesus beispielhaft auf Erden gewirkt hat. Das ist der Sinn und die Lehre von der „Wiedergeburt“ und einer „spirituellen Rückgeburt in die parallele Wirklichkeit des Jenseits“, wo genau wie im Diesseits durch Läuterung die Vervollkommnung weitergeführt wird. „Wiedergeburt“ bezieht sich nicht auf die realistische Vorstellung einer „Auferstehung des Fleisches“, die man nicht mit der geistigen Wiedergeburt der Seele verwechseln darf. In Anlehnung an Paulus ist darum der wieder „auferstandene Leib“ als Geistleib zu verstehen, und das ist nichts anderes als der „Ätherleib“, der aus demselben Stoff wie unsere Gedanken besteht.[2] Es ist derselbe Geistleib (Bewusstsein) wie der Ätherleib im Diesseits, nur auf einer höheren Vollzugsebene. Paulus 1 Kor.15: „So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Was gesät wird, ist verweslich, was auferweckt wird, unverweslich. Was gesät wird, ist armselig, was auferweckt wird, herrlich. Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib. Denn Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben.“
Aus.: „Inkarnation“ / Smigelski /BoD
[1] In der ägyptischen Kultur ist das „BA“ mit Seele zu vergleichen – sie schwebt über jedem Menschen und setzt das auch nach dem Tod fort. Denn nach dem Tod erhebt sich der Verstorbene mit der Hilfe von BA in eine andere Wirklichkeit.
[2] In Ägypten ist „KA“ die Geistgestalt, die unabhängig vom leiblichen Körper existiert –es ist der Ätherleib, der während des irdischen Lebens den Menschen als geistiges Kraftfeld durchströmt und sich nach dem Tod auf den Weg ins Totenreich begibt. Dabei müssen alle Verdunklungen während des irdischen Lebens in den verschiedenen Läuterungsstufen des Jenseits überwunden werden, damit KA wieder in seinem ursprünglichen Licht erstrahlen kann.