INTUITION  – ein Auszug aus dem Buch „Selbsterkenntis und Verblendung“
von Werner Smigelski

 

„Was wirklich zählt, ist Intuition.“ (Einstein)

Descartes: „Unter Intuition verstehe ich nicht das fließende Zeugnis der Sinne, sondern die Vorstellung, die uns ein ungetrübter und aufmerksamer Verstand so bereitwillig und deutlich gibt, dass uns hinsichtlich dessen, was wir begreifen, jeglicher Zweifel genommen wird.“

Der Begriff Intuition kommt vom Lateinischen „intueri“, was bedeutet, auf etwas zu schauen, in etwas hineinschauen, über etwas nachsinnen. Im Lexikon steht dazu: „Unmittelbares Gewahrwerden eines Sachverhaltes in seinem Wesen, ohne dass bewusste Reflexion darauf hingeführt hat: Das ist auf alles Erkennbare anwendbar. Eine Intuition umfasst verschwommene Ahnungen und Gefühle, ebenso grundlegende wissenschaftliche Entdeckungen oder auch göttliche Offenbarungen“. Dabei werden Intuitionen wie ein Blitz aus heiterem Himmel erfahren und sind ein Offenbarwerden des Wahren, ein plötzliches Ansichtigwerden von Sachverhalten und Zusammenhängen durch das Mittel der Urphantasie, was sich nur metaphysisch interpretieren lässt. Alle Philosophen von Platon angefangen bis zu Spinoza[1] und Nietzsche, sowie alle Mystiker wiesen daraufhin, dass es jenseits des Denkens und der Sinneswahrnehmungen noch höhere, intuitive Formen des Erkennens gibt. Selbst alle Entdeckungen der Naturgesetze werden nur über Intuitionen gemacht. „Es gibt keine logischen Pfade zu diesen Gesetzen; nur Intuition auf der Grundlage einfühlsamen Begreifens der Erfahrung kann zu ihnen führen.“ (Einstein)

„Intuition ist die direkte Assimilation einer Erkenntniskraft mit ihrem Objekt. Intuition ist eine unmittelbare „Mitteilung“ ohne gegenständliche Zwischenvermittlung; sie ist der einzige Akt, durch den die Erkenntniskraft sich selbst formt, und zwar nicht nach der abstrakten Ähnlichkeit des Gegenstandes, sondern nach diesem selbst. Intuition ist ein außerhalb des Bewusstseins liegender Mentalprozess, dessen wir von Zeit zu Zeit dunkel gewahr werden. Intuitive Inspiration und instinktive Energie werden zuletzt im vollständigen Selbst, das schließlich eine einzige Persönlichkeit bildet, unterworfen und geeint.“ (Alice Bailey)

Bailey fasst die Idee von einem „physischen Bewusstsein“ und einer intuitiven Intelligenz in folgende Worte zusammen: „Ich bin nun endgültig zu der Annahme gekommen, dass es im Menschen zwei verschiedene Intelligenzorgane gibt, und zwar den Thalamus (Sehhügel), welcher der Sitz des Instinkts, und die Hirnrinde (Cerebral/ Kortex), die der Sitz der verbündeten Fähigkeiten des Intellekts und der Intuition ist“. Dieser Standpunkt hat eine genaue Parallele in der orientalischen Lehre, die als Tatsache annimmt, dass sich das koordinierende Funktionszentrum der gesamten niederen Natur in der Gegend des Hirnanhanges und der Kontaktpunkt des Höheren Selbst sowie die Intuition in der Gegend der Zirbeldrüse befindet.

Formale und nachträgliche Beweise sind lediglich Instrumente der Verifizierung und Kommunikation, aber niemals der initiierende Faktor selbst. Wir müssen darum lernen, die verworrenen und sich gegenseitig beeinflussenden Beziehungen zwischen Intuition und Rationalität zu ordnen und zu gestalten. Vieles von dem, was die Intuition leistet, kann nämlich rational nicht vollbracht werden, weil rationales Denken nur mit dem arbeiten kann, was dem Verstand zum gegebenen Zeitpunkt bewusst ist; denn Vernunft ist die langsame und mühselige Methode, mittels derer eine Wahrheit erkannt wird. Der Mensch verfügt über zwei Arten von Erkennen: reales und surreales. Traditionelle Formen der Vernunftausübung wurden immer nur für das horizontal reale Denken entwickelt – das surreale Erkennen entzieht sich dagegen jeder Kodifizierung und Analyse. Dies ist der Unterschied zwischen bloß intelligentem Begreifen und Zuordnen einerseits und wahrem intuitivem Verstehen und Erkennen andererseits, was allein zur Vereinigung von Erkennendem und Erkannten führt. Die höchste Form der Erkenntnis ist die „Erleuchtung“, die selbst wiederum eine transformierende Wirkung auf das Bewusstsein besitzt, worüber alle kognitiven Fähigkeiten erweitert und im Bewusstsein zum zentralen Bezugspunkt werden.

Eine Intuition hat immer etwas Überraschendes, dabei ist das Überraschende an solchen Situationen, dass wir unserer Sache ohne erkennbaren Grund so sicher sind, weil es sofort in ein Erkennen der Selbstverständlichkeit umschlägt. Das Paradoxe an der Intuition ist: Sie ist immer von einem Gefühl begleitet, selbst ein Empfangender und nicht ein Initiator zu sein. Intuitionen kommen quasi von innen heraus, aber gleichzeitig auch von einem unnennbaren Anderen, und wir produzieren sie und sind ihr doch gleichzeitig ausgeliefert. Intuitionen kommen unerwartet und doch genau im richtigen Moment. Genau wie die Intuition besitzt auch die Erleuchtung jene paradoxe Eigenschaft: Sie ist ein inneres Geschehen und scheint dennoch wie eine Gabe von einer anderen Quelle herabzusteigen. Und obwohl wir gewiss sind, gehen wir oft das Risiko nicht ein, unseren Intuitionen zu trauen. Denn der eigenen Intuition vertrauen heißt, bereit zu sein, gegenüber allen nicht beweisbaren Produkten unseres Verstandes das Risiko einzugehen und nicht daran zu zweifeln. Von einer scheinbaren Flüchtigkeit aller Intuitionen darf jedoch nicht auf eine Flüchtigkeit des Ätherleibes geschlossen werden. Denn dieser ist eine viel größere Konstante als der physische Leib, der viel größeren Veränderungen unterworfen ist. Vielmehr ist der Ätherleib die einzig wahre Realität, die ja auch nach dem Tod weiter besteht. Die scheinbare Flüchtigkeit von Intuitionen hängt damit zusammen, dass nur wenige Menschen überhaupt in der Lage sind, Intuitionen ungetrübt zu empfangen und schon gar nicht in der Lage sind, sie auf ihrer geistigen „Festplatte“ der Phantasie festzuhalten. Aber auch das wird in der Zukunft viel besser funktionieren. Die meisten Menschen haben solche Eingebungen bisher überhört und konnten sie darum auch nicht zur Realität werden lassen. Jetzt beginnt aber eine mehr und mehr telepathische Kommunikation, die allerdings nicht wie Lesen und Schreiben geübt werden kann, sondern für die man Schritt für Schritt eine Bereitschaft entwickeln muss, um sich einem Empfangen und Senden öffnen zu können. Doch die neue Population wird darin sehr bald riesige Fortschritte machen

Das ist genau der Schnittpunkt zwischen den Wechselwirkungen von Geist und Welt. Oliver Sacks äußert sich dazu: „Unser Bewusstsein ist wie eine Flamme oder eine Quelle, die aus unendlichen Tiefen aufsteigt. Wir selbst übermitteln nur und sind nicht die erste Ursache, Wir sind Behälter oder Trichter für etwas, was jenseits von uns liegt. Letztlich wird jede Theorie über die Intuition den Geist in Zusammenhang bringen müssen mit dem, was jenseits von uns liegt.“ Aus eben dieser Erkenntnis heraus hat auch David Bohm eine holographische Struktur des Universums postuliert, eine Welt, die nicht in den uns vertrauten separaten materiellen Formen existiert, sondern in Wirklichkeit vielmehr als ein Gewebe innerlich zusammenhängender Energieströme betrachtet werden muss. Im Tao der Physik beschreibt Capra: „Die subatomaren Teilchen sind dynamische Strukturen, die nicht als isolierte Einheiten existieren, sondern integrierte Teile eines unauflöslichen Netzwerkes von Wechselbeziehungen sind, wobei Geist und materielle Wirklichkeit miteinander verknüpft sind und als unterschiedliche Manifestationen derselben grundlegenden Wesenheit des Bewusstseins angesehen werden müssen.“ Aus der Physik ist überdies bekannt, dass ein materielles Phänomen nicht ausschließlich als solches betrachtet werden kann, sondern auch immer von einem energetischen Phänomen, dem Feld begleitet wird. Ebenso unterliegen auch energetische Phänomene wie elektromagnetische Strahlungen materiellen Einflüssen. So kommt es in der modernen Physik zu der Annahme der Doppelnatur des Lichts als energetischer Welle und als einen materiellen Korpuskels, welches auch der Schwerkraft unterliegt. Im Kosmos ordnen primär die energetischen Geisteskräfte die materiellen Teilchen gemäß einer Idee (Urbild) in die entsprechenden Strukturen ein. Diese Atome gehorchen naturgemäß den Gesetzen „ihrer Dimension“, d.h. sie stehen „im göttlichen Gesetz“, denn es bedarf keiner „bewussten“ Entscheidung eines Atoms oder einer Molekulargruppe.[2]

In einem solchen Universum ist es durchaus denkbar, dass über die Intuitionen Quellen anzapft werden, die den wahrnehmenden Sinnen allein nicht zur Verfügung stehen. Teilhard spricht in diesem Zusammenhang von der „Noos-sphäre“ und Sheldrake[3] von einem formativen Kausalprinzip unsichtbarer Organisationsfelder, in denen mentale und physische Phänomene in ständiger Wechselwirkung verknüpft sind – wie Welle und Teilchen. Diese Organisationsfelder übertragen als morphische Resonanz Gedanken und Erinnerungen, die nicht als Spuren oder Eindrücke im Nervensystem gespeichert, sondern durch Resonanz eigener vergangener Zustände auf entsprechende Empfänger übertragen werden. Laut Platon besitzt der Geist latente immanente Vorstellungen von allen Ideen, wodurch alle Sinneswahrnehmungen und Erkenntnisse im Leben erst ermöglicht werden, und jeder Mensch tritt bei seiner Geburt mit diesen bestimmten Dispositionen ins Leben.

Wie bereits erwähnt, ist die Intuition ein Wiedererkennen von immanenten Urbildern und weder einsichtsvolle Psychologie, noch eine Anmutung liebevoller Hinwendung. „Intuition ist ganzheitliches Verstehen, das ein Vorrecht der Seele ist und nur dann möglich wird, wenn die Seele auf ihrer eigenen Ebene nach zwei Richtungen hin ausstrahlt: nach dem göttlichen Ursprung und nach der gleichgeschalteten und einsgewordenen Persönlichkeit. Es ist das erste Anzeichen einer tiefen subjektiven Vereinigung und schließt ein umfassendes Erkennen und Verständnis für das Prinzip der Universalität ein. Wenn eine Intuition aktualisiert ist, geht für den Augenblick alles Gefühl des Getrenntseins verloren. Ihren Höhepunkt bezeichnet man als jene All-Liebe, die nichts mit Gefühlsschwärmerei und persönlicher Zuneigung zu tun hat, sondern ihrer Natur nach eine Identifizierung mit allen Wesen bedeutet. Intuition bringt bei ihrem Erscheinen drei Eigenschaften mit sich:

1. Erleuchtung ist „das Licht der Erkenntnis“ oder in Wirklichkeit das, was das Denken erleuchtet. Denn die Intuition ist die innere Erkenntnis des Menschen, die nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich auf Grund eigener Erfahrung mit dem universalen Denkprinzip vollkommen identisch ist. Es ist das berühmte „Aha-Erlebnis“, von dem man sagt, es gehe einem ein Licht auf. Intuitives Verstehen ergibt sich stets unmittelbar aus sich selbst heraus. Wo erst Überlegungen und späteres Verstehen notwendig sind, handelt es sich nicht um Intuition.

2. Offenbarendes Verstehen bedeutet die Kraft, sich von der Identifizierung mit dem Formleben loszulösen. Darüber hinaus bedingt dieses wahre Verstehen die wachsende Fähigkeit, alle Wesen zu lieben und dennoch von persönlichen Bindungen frei zu bleiben, und das bedeutet zugleich Einswerden der Persönlichkeit mit der Seele.

3. Liebe – Damit ist nicht eine gefühlsmäßige Hinneigung oder ein liebevolles Verlangen gemeint. Denn wenn die Intuition entwickelt ist, werden sich sowohl Zuneigung als auch liebevolle Hingabe ohnehin in reinster Form kundtun. Aber was die Intuition hervorruft, ist etwas viel Tieferes und Umfassenderes. Liebe ist jenes allumfassende Begreifen des Lebens und verneint alles, was Schranken baut, Kritik übt und Trennung hervorruft. Sie sieht keinen Unterschied mehr und ist in allen Bewertungen gleich-gültig und bewirkt in dem, der als Seele liebt, eine unmittelbare Identifizierung mit dem Gegenstand seiner Liebe.

Erleuchtung, Verstehen und Liebe fassen die drei Qualitäten der Intuition zusammen und lassen sich ihrerseits mit dem einen Wort „Universalität“ kennzeichnen, oder mit dem Gewahrwerden der Einheit des Alls. Wo dieses aufscheint, da ergibt sich eine unmittelbare Dezentralisierung des Ich, nämlich alles auf sich selbst als den Mittelpunkt zu beziehen. Denn nur über die Intuition lernt man die hintergründigen „Bedeutungen“ zu erfassen und über den Gebrauch des Denkvermögens zu verstehen.

In der Menschheitsentwicklung ist die Intuition eine fortschreitende Bewusstseinserweiterung und ermöglicht den Menschen, einerseits auf die äußere Welt der Gedanken und Vorgänge und andererseits auf die Welt der spirituellen Energien und des geistigen Seins zu reagieren. Damit ist die Intuition das immanente Wesen des Denkvermögens, das gleichsam als  „inneres Laboratorium“ eine Verbindung mit höheren Energien herstellt und eine Transparenz der Wahrnehmung entwickelt.

Unzählige Menschen kamen im Lauf der Zeit zur Erkenntnis, dass die sichtbaren Gestalten nicht die Gesamtheit der Erscheinungswelt sind und dass es darüber noch eine Realität geben müsse, von der die Form nur eine Manifestation sei. Wenn nun aber die Form nicht die Gesamtheit der Erscheinungswelt ist, so können auch die physischen, intellektuellen und psychischen Kräfte allein nicht die Gesamtheit menschlicher Kontakt- und Reaktionsfähigkeiten ausmachen. Demnach gibt es noch höhere Entsprechungen, die mit den niederen uns geläufigen und bekannten Kräften in Übereinstimmung gebracht werden müssen. Eine solche Koordinierung kann z.B. auch durch Meditationen erreicht werden, worüber man auch spiritueller Bewusstseinszustände gewahr werden kann. Denn eins der erstrebten Ziele der Meditation besteht darin, den Menschen zu befähigen, auch in seiner äußeren Manifestation das zu werden, was er in seiner inneren Wirklichkeit ist. Meditation soll einen Menschen veranlassen, sich mit seinem „inneren“ Aspekt und nicht bloß mit seinen äußeren, niederen Charakter-Eigentümlichkeiten zu identifizieren.

Seit Tausenden von Jahren haben die Mystiker und Wissenden auf Erden über ihre Erfahrungen mit diesen subtileren Welten Zeugnis abgelegt. Sie nahmen dabei mit Kräften und Phänomenen, die nicht von der physischen Welt stammen, Kontakt auf. Darum waren es immer nur diese Zeugen einer unsichtbaren spirituellen Welt, die jene offenbarenden Botschaften brachten, welche die Gedanken der Menschen geformt und dem Leben von Millionen Richtung gegeben haben. Sie waren es auch, die immer wieder darauf hinwiesen, dass es eine Wissenschaft geistiger Erkenntnisse und eine Technik gäbe, wodurch die Menschen zur mystischen Erfahrung gelangen und Gott erkennen können. Die Menschen haben diese Lehren nur in sehr unterschiedlicher Weise empfangen und umgesetzt. In den westlichen Kulturen wurde das Bewusstsein mehr auf die materiellen Aspekte des Lebens konzentriert. Die gesamte mentale Kraft wurde auf die Kontrolle und Nutzbarmachung materieller Dinge, auf die Vervollkommnung physischen Komforts und auf die Anhäufung von Besitztümern gerichtet. Im Osten hingegen, wo die spirituellen Wirklichkeiten einheitlicher bewahrt worden sind, wurden Technik und Gedankenkraft auf Konzentration, Meditation und in metaphysischen Studien angewandt. Es wäre wünschenswert, wenn in einer verschmelzenden Begegnung beider Kulturen, Ost und West, deren spirituelle Errungenschaften ihre volle Wirkungskraft für die gesamte Menschheit entfalten könnten.

 


[1] De Spinoza, Baruch: Gesamtwerk

[2] vgl. Alice Bailey : Das Bewusstsein des Atoms

[3] Sheldrake, Rupert: Das schöpferische Universum – die Theorie des morphogenetischen Feldes